Spannung

Ein Film ist nicht spannend. Ein Wettkampf ist spannend. Ein Weltmeisterschaftsfinale ist spannend. Spannung entsteht durch Konflikt und Kampf und dem Wunsch des Zuschauers, daß eine bestimmte Seite gewinnt.

Der Zuschauer beginnt einen Film damit, Menschen, über die er nichts weiß, bei Aktionen zu sehen, die er zunächst nicht versteht und die innerliche und äußerliche Ziele anstreben, die er nicht kennt. Im Prinzip ist der Filmzuschauer jemand, der in Laos den richtigen Bus zu den Pyramiden sucht.

Filmisches Erzählen deutet immer so früh wie möglich die Richtung an, aus der die Antworten auf die Fragen der Geschichte auftauchen werden.

Im Märchenlied heißt es nicht: ein junger Mann und eine junge Frau machten einen Spaziergang, dabei gingen sie in den Wald, es war ein schöner Tag, schon etwas spät, das Sonnenlicht schimmerte noch durch die Blätter, es fiel schräg, weil die Sonne schon tief stand und, während die beiden durch den Wald gingen, unterhielten sie sich über ihre Eltern, die beide arm waren, und darüber, daß sie schon lange nichts mehr gegessen hatten und dann sagte die junge Frau zu dem jungen Mann: „Du, wo sind wir eigentlich?“ 
Es heißt im Lied: Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald.
( Das Märchen zum nachlesen bei Gutenberg.spiegel.de )

Der Zuschauer muß also schnell erfahren, wer die Hauptfigur ist, was sie anstrebt, eine Ahnung davon bekommen, was ihr Innerlich fehlt und warum es so schwierig für sie ist, ihre Ziele zu erreichen. Außerdem hilft es, wenn der Zuschauer die Hauptfigur mag. Wenn die Hauptfigur nicht wirklich nett ist, dann sollte es zumindest eine Möglichkeit der Identifikation geben. Der Zuschauer identifiziert sich immer, auch wenn sie unsympathisch sein sollten, mit Figuren, die gewitzt und leidenschaftlich für ein Ziel kämpfen. Für einen guten ersten Kampf braucht man eine echte Herausforderung, am besten ist natürlich ein Gegner, am besten ist natürlich der Antagonist.

Der Zuschauer braucht: 
Hauptfigur, Identifikation, Kampf, Gegner, Antagonist. 1. Akt.
Das ganze geht von außen nach innen, wird intensiver, persönlicher, bedrohlicher. 2. Akt. 
Am Ende geht es wieder nach außen. 3. Akt.

Ein dramatischer Film ist im wesentlichen eine Psychoanalyse. Das klingt – mit Recht – furchtbar. Deswegen muß man als Autor die Gefühle, das Innere seiner Figuren, auch so genau kennen: damit man das „Innen“ durch „Außen“ erzählen kann. Und hier liegt eine der großen Gefahren: Plattheit. Dabei ist das schönste filmische Erzählen subtil, voller Andeutungen, Subtext, auch in den Bildern und den Aktionen. Kein Wunder, daß es schwer ist. Auf jeden Fall braucht man im Plot eine Handlung, die die Hauptfiguren in eine Welt bringt, die dem Inneren der Figuren entspricht und ihre Zerrissenheit enthüllen hilft.

Ein Film erzählt eine Geschichte aus einer bestimmten Welt auf eine bestimmte Weise vor dem Hintergrund einer bestimmten Handlung. Wenn man weiß, was der Hauptfigur innerlich passiert, weiß man auch, was ihr äußerlich widerfährt. Dazu baut man sich den Plot. Er wird nicht konstruiert, nicht gestrickt, nicht gebastelt, nicht gefunden, sondern gebaut. Durch den Plot schickt man die Hauptfigur an den Ort ihrer Inneren Ängste und Hoffnungen und läßt sie auf ihren größten Feind treffen. Den Psychokram muß man jetzt vergessen haben. Ein Film ist eine äußerst praktische Sache, und ein Drehbuch eine technische Beschreibung, kein Gutachten.