Psychologie

Ich bin kein Psychologe und mir fehlt das Vokabular, die psychischen Dimensionen angemessen zu beschreiben, aber ich wage dennoch einen Anfang, weil es mich ganz einfach interessiert. Als Zuschauer eines Films fühle ich mich oft mit dem Schicksal der Hauptfiguren direkt verbunden, habe durch die Identifikation das Gefühl, die Irrungen und Wirrungen selbst zu erleben. Ich bin nicht nur interessierter Betrachter, sondern fühle mich wirklich involviert und betroffen. Die Geschichte berührt mich innerlich, als wäre es meine eigene. Ich frage mich einfach, wie das sein kann.  

Die Psychologie der Hauptfigur wird mittels dem bekannten need vs mode - Prinzip in vielen Büchern und Seminaren angedeutet und besprochen, aber ich habe mich immer gefragt: warum gibts das überhaupt? Aus diesem Grund habe ich die Filme, die mir gefallen, daraufhin untersucht, wie die Motivationen der Hauptfiguren zustande kommen und wie sie dem Zuschauer erzählt werden.

Es wird oft von der „Reise des Helden“ gesprochen und auch diese Reise ist eine Reise ins Unbewußte, und zwar das Unbewußte der Hauptfiguren und in das Unbewußte des Zuschauers – also mein Unbewußtes. Aber woher können die Filmemacher mein Unbewußtes kennen? Die Antwort ist natürlich einfach: Geschichtenerzähler verstehen - bewußt oder unbewußt - wie das Unbewußte im Prinzip funktioniert. 

Die einfachste Frage, die man sich immer stellen kann ist: warum tut jemand etwas? Und die einfachste Antwort ist immer: weil es irgendeinen guten Grund gibt. Warum hat die Hauptfigur Angst, sich auf eine ehrliche Beziehung einzulassen? Warum hat die Hauptfigur Angst, zuzugeben, daß sie schwul ist? Warum hat die Hauptfigur Angst, etwas Bestimmtes zu tun? Ein bestimmtes Wissen zuzulassen?

Hier ergibt sich schon ein erster Hinweis: das Unbewußte hat oft mit Ängsten zu tun. Das bedeutet: das, was die Hauptfiguren unbewußt tun (also: wenn sie gegen ihren need arbeiten) soll ihnen helfen, ihren geheimen inneren Ängsten zu entkommen. Wenn ein Zyniker ständig alle Menschen beleidigt, gibt es einen prima Grund für die Menschen, ihn nicht zu mögen. Nämlich: weil er einfach beleidigend ist. Für den Zyniker ergibt sich also ein für ihn selbst verstehbarer Grund, immer abgelehnt zu werden. Möglicherweise hat der Mensch ganz einfach Angst davor, abgelehnt zu werden, weil er sich innerlich heimlich verabscheuenswürdig empfindet. Um sich dieser Angst, möglicherweise wirklich verabscheuenswürdig zu sein, nicht stellen zu müssen, (indem er testet, wie er normalerweise auf die Menschen wirkt), wird er einfach zum Zyniker. Dann wird er abgelehnt, weil er zynisch ist. Innerlich weiß er, daß sein zynisches Äußeres nur Fassade ist und denkt, wenn er mal nett wäre, würden ihn bestimmt alle gern haben, sie mögen ihn nur nicht, weil er sich zynisch gibt... und so ist dieser Mensch mit seiner Angst, verabscheuenswürdig zu sein, in einem Teufelskreis gefangen. Durch sein übliches zynisches Verhalten wird er NIE herausfinden, was die Menschen wirklich von ihm denken. Aber, da er sich heimlich für verabscheuenswürdig hält, will er das ja auch gar nicht wissen. Da ist es einfacher, den Zyniker zu spielen und deswegen abgelehnt zu werden. Das ist der verstehbare Grund. 
In Wirklichkeit hat der Mensch panische Angst davor, abgelehnt zu werden, wenn er sich ganz offen und verletzlich und ängstlich zeigt. Aber erst, wenn er sein wahres verletzliches Inneres zulassen würde, hätte er die Chance, wirklich einmal von anderen Menschen ehrlich gemocht zu werden. Doch seine Angst vor Ablehnung ist so groß, daß er sich nicht traut, es zu wagen.

Ein Kontrollfreak hat ganz einfach Angst, die Kontrolle zu verlieren, weil er Angst hat, das nicht aushalten zu können. Weil er irgendwie Angst hat, der Verlust der Kontrolle würde für ihn schreckliche Konsequenzen haben. Das ist, als hätte man eine neue Hüftprothese und wagt nie, ohne Krücke zu gehen. Man hat Angst, es könnte nicht gut gehen, und so stützt man sich einfach noch auf die Krücke. Ohne es zu testen. Weil man vermutet, es würde nicht besonders leicht sein, ohne Krücke zu gehen. Und so erspart man sich einfach den Schmerz. Den inneren Schmerz, sich selbst bewußt und klar zu machen, daß man eine künstliche Hüfte hat. Erst, wenn man diese Angst überwindet, kann man die Krücke weglegen und anfangen, zu trainieren, und danach kann man irgendwann wieder ganz gut gehen, auf alle Fälle aber besser, als zuvor, mit der Krücke.

Die innere Schwäche soll einen also vor der Wahrheit bewahren, vor der Erkenntnis, nicht ganz so perfekt zu sein, wie man es sich wünscht. Aber erst durch das ehrliche Akzeptieren kann man „wieder gehen lernen“. 

Hier liegt einer der Gründe, warum Geschichten und Filme den Zuschauer heilen können. Wenn man erkennt, daß man seine Ängste überwinden und seine Wünsche und Träume zulassen kann.