Die Innere Schwäche

Das Wesen der Individualität: Individualität ist ein Gefühl. Wozu braucht man Individualität? Weil man ein GANZ BESTIMMTES BILD von sich selbst nach außen transportieren möchte. Und warum? Menschen möchten IMMER NUR EINS: GELIEBT WERDEN. Deswegen kreieren sie unbewußt eine ihrer Meinung nach Liebenswürdige, Bewundernswerte VERSION von sich.

Menschen müssen sich selbst wahrnehmen. Dazu müssen sie sich erkennen. Dazu machen sie ein BILD von sich. Dieses BILD soll die WELT gefälligst LIEBEN.
Menschen brauchen das Gefühl der Individualität, der Exklusivität, der Einzigartigkeit, um sichergehen zu können, daß SIE von der Welt geliebt werden.

1) Die Innere Schwäche hält einen davon ab, zu sehen, wer man wirklich ist und, der zu werden, der man ist.

2) Dies funktioniert, wenn/ weil man befürchtet, das „wahre Ergebnis“ nicht zu mögen.

3) Um das gar nicht erst testen zu müssen, also, nicht Gefahr zu laufen, sich der „Wahrheit“ auszusetzen, macht man einfach einen Bogen um sich selbst. Dabei hilft die Innere Schwäche.

4) Erst, wenn man erkennt, das man das Ergebnis (= die Wahrheit) vielleicht doch mögen könnte, kann man sich dann entscheiden und das „Wagnis“ eingehen, man selbst zu werden, was bedeutet: sich selbst an der Wirklichkeit zu testen.

Die Innere Schwäche funktioniert so: man traut sich nicht, bestimmte Dinge zu tun/ zu denken/ sich zu wünsche, weil sie einen an die Innere Schwäche erinnern, einen darauf hinweisen, daß man an genau dieser Stelle empfindlich ist.

Man ist da empfindlich, weil es ein seelischer Bereich ist, der die eigenen am tiefsten verborgenen Wünsche, Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen berührt. Also: wer man tief im Inneren wirklich ist.

Eigentlich möchte man ja der sein, der man wirklich ist, also: eigentlich möchte man ehrlich zu sich und zu der Welt sein. Aber: man will auch unbedingt von der Welt geliebt werden. Da das einem manchmal (nein: meistens!!) viel wichtiger ist, als alles andere, baut man sich unbewußt folgendes seelisches Konstrukt: da man nicht sicher sein kann, ob die Welt einen so liebt/ akzeptiert, wie man wirklich ist, adaptiert man ein künstliches Bild von sich, das man nach außen transportiert. Das geht aber nur so perfekt, wenn man nicht ständig selbst darüber stolpert, wer man wirklich ist. Denn dann würde man ja ständig bemerken, daß man die Welt belügt und, das die Welt in Wirklichkeit jemand anders liebt, nämlich die Erscheinung, die man darstellt. 

Ein Beispiel dafür ist ein Mann, der heimlich schwul ist, aber mit Ehefrau und Kindern lebt. Wenn er sich zu seinem Schwulsein bekennt, müßte er seine Situation als Ehemann und Vater als Lüge erkennen, akzeptieren, und sich von seiner Familie trennen und einen männlichen Partner suchen, oder gar alleine bleiben. Und er müßte gegen viele erlernte gesellschaftliche Konventionen ankämpfen, die der Mann auch selbst gelernt hat. Also: tut er so, als wäre er gar nicht schwul. Aber er tut das so perfekt, daß er selbst es gar nicht weiß, daß er schwul ist. Er ist im täglichen Leben sogar ein Schwulenhasser. Für ihn ist das Schwulsein so ungeheuerlich, daß er es aus seinem Leben ausklammert. Und zwar, weil er Angst hat, als der Schwule, der er ist, in der Welt nicht mehr leben zu können, nicht mehr geliebt zu werden. So ein Mann kann unter Umständen NIE sein Schwulsein ausleben, sondern ein relativ glückliches Eheleben führen. Allerdings nur, wenn er selber nicht weiß, daß er eigentlich schwul ist. Würde er das erkennen, würde sein gesamtes Weltbild zusammenstürzen.

Dafür gibt es die Innere Schwäche: sie hat die Funktion, einen davon abzuhalten, das zu sehen und zu akzeptieren, was man wirklich ist.

WARUM?
Weil man glaubt, die Wahrheit – nicht aushalten zu können, oder sich nicht anmaßen zu dürfen, oder sie nicht verdient zu haben. Und: weil man glaubt, die Wahrheit schade einem.

Das bedeutet: man glaubt, sich selbst zu akzeptieren, wie man innerlich ist, würde einem Innerlich schaden.

Um sich dem nicht aussetzen zu müssen, um die eigene IDENTITÄT im Dunkeln zu lassen, hat man einen Mechanismus entwickelt, der auf psychologische Weise wirkt. Einen „Trick“. Einen Trick, der einem „hilft“, eine scheinbar bedrohliche Wahrheit nicht sehen zu müssen.

Bsp.: jemand, der aus Angst vor Einsamkeit zum Alkoholiker geworden ist. Er ist einsam, weil er Angst davor hat, enttäuscht oder verlassen zu werden. Also wagt er es lieber nicht, eine Beziehung einzugehen, weil sie ja scheitern könnte. Um das aber nicht so spüren zu müssen, wird er zum Trinker, und das gibt einen vortrefflichen Grund ab, nicht geliebt zu werden, denn Trinker werden nun man nicht geliebt. Dann ist der Mann zwar immer noch einsam, aber nicht, weil er Angst hat, verlassen zu werden, sondern, weil er ein Trinker ist. Und das Trinken hilft ihm, die Einsamkeit zu ertragen. 
Würde er aufhören, zu trinken, und würde dann am „Beziehungsmarkt“ scheitern, hätte er es schwarz auf weiß, ein Einsamer aus Angst und Unvermögen zu sein. Also ist es lieber ein Trinker, der zumindest im Dasein als Trinker irgendeine Berechtigung hat und eine gewisse Akzeptanz findet, vielleicht sogar Mitleid oder gar Mit-Trinker.

Die Innere Schwäche „hilft“ einem, sich nicht der eigenen Verantwortung über sein Leben stellen zu müssen, hält einen jedoch davon ab, sein wahres Ich zu erkennen.