Filmisches Erzählen: der Zusammenhang von Plot-Struktur, Handlung, Inhalt, Geschichte, Thema und Psyche der Hauptfigur und der Unterschied zwischen Erzählen und Beschreiben

Ein dramatischer Film hat ein Thema; ein filmisches Thema ist immer ein Konflikt, ein Konflikt besteht immer zwischen zwei persönliche Ansichten, die nicht gleichzeitig in derselben Person existieren können. Transportiert wird das Thema und die beiden unvereinbaren Weltsichten über die Hauptfigur, die durch den Plot, also die Handlung, und seine Struktur in Situationen gerät, in denen mal mit die eine, mal mit die andere Weltsicht Erfolg und Mißerfolg hat. Am Ende muß die Hauptfigur entscheiden, welche Seite sie für sich in Zukunft wählt. Die Plotstruktur hilft dabei, das ganze innerhalb von 90 Minuten für den Zuschauer zu erzählen, der schließlich jede Menge Informationen braucht, um das Thema und die Entscheidung der Hauptfigur nachvollziehen und selbst in sich finden zu können.

Der Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ läßt einen anarchistischen Freiheitsfreak und Spieler auf einen Kontrollfreak treffen. Es wird also das Thema Freiheit versus Unterdrückung filmisch untersucht, und zwar vom ersten bis zum letzten Bild. Nicht mehr und nicht weniger.

„Manche mögen´s heiß“ läßt einen oberflächlichen, frauenverschlingenden Musiker auf die Liebe seines Lebens treffen. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Plot eines Films muß dafür arbeiten, die konfliktträchtigen Weltsichten, denen die Hauptfigur ausgesetzt ist, die meiste Zeit des Films über gleichstark zu zeigen, wobei meistens die Seite, die am Ende verliert, eine leichte bis mittlere Oberhand hat. Denn dann muß die Hauptfigur kämpfen. Ohne Kampf ist es langweilig.

Außerdem muß der Plot eines Films dafür sorgen, daß die Hauptfigur nicht einfach so ihre Meinung ändern kann (McMurphy: „Okay, Miss Ratched, eigentlich haben Sie ja ganz recht und ich will mal das tun, was Sie empfehlen...“ - undenkbar.) Und, daß die Hauptfigur nicht einfach so die Situation verlassen kann.

Hier setzt die Psyche der Hauptfigur ein. Wenn McMurphy einfach gehen würde, ließe er seinen neu gewonnen Freund Billy Bibbit im Stich – und da er als Outlaw keine echten Freunde hat, ist es ihm, durch die neue gewonnene Beziehung zu Billy, sehr wichtig geworden, ihn nicht zu enttäuschen. Gleiches gilt für Toni Curtis. Er hat im Verlauf des Films gelernt, daß er Sugar (M. Monroe) nicht enttäuschen möchte/ darf/ kann.

Außerdem ist – jetzt wieder durch den Plot – ein Verlassen der Situation bei beiden Filmen nahezu unmöglich: McMurphy ist eingesperrt, Toni Curtis auf der Flucht vor der Mafia.

Also: der Plot zwingt und zwängt die Hauptfigur in Situationen, in denen sie ihre Psyche kennenlernen und dann eine moralische Entscheidung treffen muß.

Um das wirklich als Autor schreiben zu können, muß man all das irgendwann für seine neue, noch nicht geschriebene Geschichte herausfinden. Man muß nicht damit anfangen, aber wenn man es beim Schreiben entdeckt / findet, muß man es eben dann einbauen. Und da die Filme am besten sind, in denen alles sich gegenseitig unterstützt und miteinander harmoniert, muß man, wenn man Thema, Psyche, moralische Entscheidung und Plot erst sehr spät findet, mitunter eine Menge seines Buches komplett umschreiben. Von daher ist es gut, wenn man diese Dinge und Zusammenhänge frühzeitig erkennt.

Der Unterschied zwischen Erzählen und Beschreiben

Es geht um Abstraktes und Konkretes, um verstehen und fühlen, um Kopf und Bauch.

In dem deutschen Film „Vom Küssen und vom Fliegen“ erreicht die Hauptfigur am Ende ihr Ziel: er fliegt in einem Segelflugzeug, hat eine Frau geheiratet und Kinder: eine glückliche Familie. Wie als Zuschauer sehen ihn, wie er sich freut und wie es ihm gutgeht. Wie verstehen, daß er seine Version von Glück, die eine abstrakte und allgemeine Version von Glück ist, erreicht hat.

In dem deutschen Film „Sex oder Liebe“ erreicht die Hauptfigur am Ende ihr Ziel: sie bekommt beide Männer, heiratet sie, streift beiden je einen Ehering über. Wir als Zuschauer sehen die Hochzeitszeremonie und das Überstreifen der Eheringe und verstehen diese abstrakte, allgemeine Version von Glück.

In „Rocky“ haut der Boxer Rocky am Ende seinen Gegner um. Das ist eine konkrete, direkte Form von Glück, weil es auch ein Glücksgefühl ist, was wir uns als Zuschauer wünschen. Dieses „Glück“ verstehen wir als Zuschauer nicht, sondern wir empfinden es selbst.

In „Notting Hill“ erreichen beide Hauptfiguren am Ende ihre Ziele: sie liegen aneinander gekuschelt auf einer Parkbank, es ist keine zelebrierte Nähe (wie bei der Hochzeit) sondern wahre, spürbare Nähe: beide haben sich und lieben sich und berühren sich. Diese Form von Glück spüren wir als Zuschauer sofort und empfinden sie selbst.

In „Nur das Blaue vom Himmel“, einem aktuellen deutschen Film, ist die Hauptfigur ein unsicheres, junges Mädchen in der Pubertät, das am Ende erkennt, daß es „noch auf der Suche nach seiner Dimension ist“. Wir sehen sie am Ende des Films, wie sie auf einem Bootssteg liegt und das letzte Bild ist die offene See. In dem Moment sind wir selbst auf der Suche nach unserer Dimension.

Der Unterschied zwischen Erzählen und Beschreiben ist der: eine beschriebene Geschichte erklärt uns lediglich die Gefühle, und wir können sagen: Ja, stimmt. Da hätte ich auch Angst, oder: Ja, da würde ich mich dann auch drüber freuen. Oder: Ja, da würde ich mich wohl auch verraten fühlen. Eine beschriebene Geschichte läßt uns verstehen und beurteilen.

Eine erzählte Geschichte erzählt von Gefühlen, und zwar so, daß wir als Zuschauer diese Gefühle selbst empfinden. Wir haben Angst, wir freuen uns, wir sind traurig oder glücklich, wir weinen und haben einen dicken Kloß im Hals, oder wir verlieben uns in die Personen auf der Leinwand. Eine erzählte Geschichte läßt uns mitfühlen.

Eine Geschichte filmisch erzählen bedeutet, den Zuschauer anrühren und echte Gefühle spüren lassen.