Filme und ihr psychologischer Hintergrund

Ein unter psychoanalytischen Gesichtspunkten sehr sorgfältig gebauter Film ist „Das Schweigen der Lämmer“. Die Hauptfigur Clarice Starling hat als Kind ihren Vater verloren, kurz darauf mußte sie erneut einen Verlust erleben, als sie ein kleines Lamm nicht vor der Schlachtbank retten konnte. Diese beiden Ereignisse sind ihr Trauma, ihr Zusammenhang ist die Angst, nicht mehr von einem Vater beachtet = gesehen zu werden und (für Clarice) dadurch unfähig zu sein, etwas Geliebtes zu beschützen und deswegen nicht mehr liebenswert zu sein.

Als Erwachsene zieht es Clarice zum F.B.I., einer großen, wichtigen Institution, in der sie sich außergewöhnlich stark engagiert, um Erfolg zu haben. Erfolg beim F.B.I. bedeutet väterliche Anerkennung, was ihr persönlicher Mangel ist. Als sie von Jack Crawford den Auftrag erhält, bei der Suche nach Buffalo Bill zu helfen, ist das erneute und direkte Anerkennung durch eine Vaterfigur. Kurz darauf trifft sie auf Hannibal Lecter, der sie nur 3 Minuten ansehen muß und ihr gesamtes Leben wie ein offenes Buch vor sich sieht. Clarice sagt dazu: „Sie sehen eine Menge, Dr. Lecter.“ Als Dr. Lecter sie sieht, trifft er ihren Nerv.

Genau das hat ihr schon ihr ganzes Leben lang gefehlt: von einem „Vater“ gesehen, anerkannt zu werden. Hier liegt ihr heimliches Trauma vergraben. Da sie nie die väterliche Anerkennung und Liebe als Erwachsene erhalten konnte, hält sie sich für schwach und nicht liebenswert. Deswegen, denkt sie, muß sie sich über alle Maßen anstrengen, um „gut genug für die Welt“ zu sein.

Bei einer Übung auf der Schule macht sie später einen Fehler, als sie einen Raum betreten soll, in dem Angreifer auf sie warten, und wird von ihrem Ausbilder dabei ertappt. Hier gibt es sogar den „Beweis“, daß sie nicht gut genug ist. Doch ganz am Ende kann sie ganz allein den Killer Buffalo Bill überwältigen, in einer Situation, die der vorherigen Situation auf der Schule vergleichbar ist. Hier liegt ihre Heilung: sie hat bewiesen, daß sie es alleine schaffen kann und gut genug ist, einem eingesperrten Wesen zu helfen. Ab jetzt ist sie nicht mehr, so wie davor, abhängig von der Anerkennung durch eine Vaterfigur oder eine Institution. Ab jetzt kann sie auf eigenen Füßen stehen.

Interessant ist auch, daß ihr Chef Crawford sie für seine egoistischen Zwecke benutzt, sie sogar belügt und hereinlegt und sie am Ende noch nicht einmal dabei haben will, als er zur vermeintlichen Verhaftung des Killers schreitet. Hier ist der 2. Akt zu ende und hier liegt ihr tiefster Punkt: sie ahnt, daß etwas nicht stimmt und, daß die Entführte verloren ist, außerdem, daß sie nicht mehr eingreifen kann und, sie wird von Crawford hängen gelassen. Also eine Niederlage auf der ganzen Linie. Das macht ihren Kampf und Sieg im dritten Akt um so glanzvoller.

Hier zeigt sich auch das Zusammenspiel von mode und need der Hauptfigur: Clarice mode ist, um jeden Preis nach väterlicher (=leistungsbezogener) Anerkennung und Karriere zu streben, ihr need ist es, zu erkennen, daß sie alleine „gut genug ist“.

Weitere Beispiele:

Bei „Blade Runner“ ist der mode: Replikanten töten, der need: Heimat + Liebe zu finden.
Bei „Der Einzige Zeuge“ ist der mode: den kleinen Jungen durch Gewalt zu schützen, der need: gewaltfrei zu werden.
Bei „Kuckucksnest“ ist McMurphy´s mode: Spaß haben + die Wette gewinnen, sein need: Ernsthaftigkeit und Tiefe zu erlangen, das Leben nicht mehr nur als Spiel zu betrachten, etwas für die Gemeinschaft zu tun.
Bei „Pretty Woman“ ist der mode von beiden Hauptfiguren: kaufen + verkaufen, der need: zu erkennen, daß man sein Glück erst durch wahre = geschenkte Liebe findet.

Bei allen Filmen steht der mode dem Erreichen des wahren Glücks (=need) frontal im Wege. Durch ihren mode, ihre Grundhaltung zu Beginn des Films und das blinde, sture Verfolgen des ersten Plot-Ziels, das vom mode bestimmt wird, kann die Hauptfigur den Weg zu ihrem persönlichen „wahren Glück“ nicht erkennen, ist total vernagelt. Erst, wenn sie das Plot-Ziel aufgibt, kann sie die Augen öffnen und wirklich erkennen, was ihr fehlt. Nicht immer, jedoch oft wird durch das Erreichen des Inneren Ziels auch noch zusätzlich das Plot-Ziel erreicht, was einem triumphalen Gesamtsieg gleichkommt.

Die Plot-Ziele der Hauptfiguren sind einfach zu verstehende und die menschlichen Urinstinkte ansprechende Ziele. Dadurch ist der Zuschauer sofort mit dem Film und der Hauptfigur verbunden. Die tieferliegenden Bedürfnisse werden erst, wie im richtigen Leben, allmählich deutlicher, wenn man die Figuren besser kennt.