Balance - Das Allerwichtigste 

Eine Geschichte ist eine "Schilderung von folgenschweren Ereignissen, an denen bemerkenswerte menschliche Figuren beteiligt sind, die sich infolge dieser Ereignisse verändern."  
So beschreibt es James N. Frey in seinem bemerkenswerten Buch Wie man einen verdammt guten Roman schreibt. (Siehe TIPP)  

Was gehört noch zu einer Geschichte?  

Eine ganz wichtige Eigenschaft ist Balance.  

Deswegen drehen sich Geschichten immer um Kämpfe zwischen Gut und Böse, Arm und Reich, Frau und Mann, Eltern und Kindern, Killern und Rächern, Räubern und Polizisten.  
Jede Kraft in einer Geschichte braucht eine Gegenkraft, um sie auszugleichen. Die Reibung, die dazwischen entsteht, macht eine Abfolge von folgenschweren Ereignissen auch zu einer Geschichte.  

Eine nahezu perfekte (Film-) Geschichte ist "Once upon a time in the west", deutscher Titel "Spiel mir das Lied vom Tod."  
Hier kommt eine sehr, sehr lange Geschichte innerhalb weniger Tage zu einem ausbalancierten Ende. (Das ist ein weiteres Merkmal für gute Filmgeschichten: je größer der Zeitraum ist, in dem die Geschichte spielt, desto stärker wirkt sie; je kürzer man vor dem eigentlichen Ende der Geschichte seine Film-Erzählung beginnt, desto besser.)  

"Spiel mir das Lied" ist die Geschichte eines Mannes, der sich an dem Mann rächt, der ihm irgendwann vor etwa 25 Jahren auf grausame Weise den Vater genommen hat.  

Jede Geschichte erzählt immer 2 Geschichten: einmal das, was passiert, und dann, warum das, was passiert, passiert.  

"Spiel mir das Lied" ist ausbalanciert. Und die Erzählform ist es ebenfalls. Man erfährt erst ganz zum Schluß die ganze Wahrheit über den Hintergrund zwischen Frank und Harmonica, durch ständige Andeutungen über den ganzen Film weiß man, daß da noch etwas ist, und wenn man es am Ende durchblickt, ist man echt erstmal platt.  
Harmonica hatte wirklich das Recht, den anderen zu töten. Der andere, Frank, ist richtig schlecht.  

Und das Balancierende ist: er ist nicht nur schlecht für Harmonica, sondern auch für den Zuschauer.  
Der Zuschauer hat gleich am Anfang des Filmes gesehen, wie schlecht Frank ist, als der eine ganze Familie inklusive eines kleinen, netten, frechen Jungen, abballerte.  

Der Zuschauer, und der ist in jeder Geschichte die eigentliche Hauptfigur, erkennt nicht nur im Kopf, wie schlecht Frank ist, sondern auch durch die geschilderten Ereignisse im Bauch.  

Das ist ganz besonders wichtig: den Zuschauer die Zusammenhänge und die Kräfte, die wirken, selber erkennen zu lassen.  

Nicht Betroffene von ihrem erlittenen Leid erzählen zu lassen, sondern den Zuschauer mitleiden zu lassen.  

Deswegen kann man als Autor das, was die Geschichte auslöst, und was im besten Fall sehr, sehr lange zurück liegt, in der aktuellen Abfolge der geschilderten Ereignisse einfach noch einmal in einer Variation passieren lassen.  
Der Zuschauer begreift die Hauptfiguren dann im Kopf und im Bauch. Er kann die Motivation des Protagonisten und des Antagonisten nachvollziehen und würde sich wünschen, genauso zu handeln.  

So einfach ist das: als Autor muß man nur Ereignisse schildern, die früher etwas verursacht (= angeschoben) haben, (und, da man Gott ist, kann man alle benötigten Ereignisse, frühere und aktuelle, erfinden),  und jetzt in den 90 Minuten Film erneut dasselbe im Zuschauer und in den Hauptfiguren verursachen.  

Dann versteht der Zuschauer die Figuren und somit die Handlung und somit die Geschichte.  

Das ist das Allerwichtigste.  

Der Zuschauer muß die Geschichte verstehen.  

Das erreicht man durch Balance.