Die Mechanik eines Films: jeder Film ist eine Mischung zwischen Geschichte und Handlung

Wenn man eine neue Idee für ein tolles Drehbuch hat, ist das mit Nichts zu vergleichen. Das Gefühl ist wunderbar, groß, einzigartig. Man hat unvermittelt Zugang zu dem metaphysischen Raum namens Kreativität. In diesem Raum ist es möglich, etwas aus Nichts zu erschaffen. Das ist beinah so schön wie, wenn man für eine seiner Geschichten gelobt wird. Eine neue Idee zu haben ist immer wieder aufs Neue ein einzigartiges Ereignis.

Man setzt sich, erfüllt von Energie, an den Computer und macht seine ersten Notizen. Die Idee beginnt zu leben und zu wachsen. Durch das Schreiben kommen einem immer neue Ideen, neue Einsichten, alles wird immer klarer und fügt sich magisch zusammen. Jeder einzelne Satz paßt. Warum? Keine Ahnung. Das ist das Geheimnis der Kreativität.

Ein paar Tage später setzt man sich erneut hin und versucht, die Idee in eine Struktur einzubauen. Ein Drehbuch ist die Vorlage für einen Film und muß in ein Schema eingepaßt werden. Spätestens hier ergeben sich erste Unsicherheiten. Man arbeitet natürlich weiter und ist gespannt, welche Probleme und welche Lösungen sich während des Schreibprozesses ergeben. Als Autor entdeckt man ständig Neues, und auch davon lebt die Geschichte, die Idee und der Autor selbst.

Je weiter man vordringt, desto deutlicher treten Probleme und Schwächen zutage. Plötzlich passen die Dinge nicht mehr zusammen. Die Figuren machen Dinge, die sie nicht tun dürfen, sie sagen Sachen, die nicht stimmen, oder noch schlimmer, langweilig sind. Man verzweifelt. Das ist ganz normal und gehört dazu.

Um aus diesem Dilemma herauszukommen, muß man sich erinnern, was man über Theorie, Aufbau eines Dramas, Struktur und Dramaturgie gelernt hat. Es gibt dafür Regeln und Erfahrungswerte. Die muß man einfach nur betrachten. Man muß einen Schritt von seiner Idee zurücktreten und sich die wichtigste Frage von allen stellen: was will ich eigentlich schreiben?

Jeder Film hat eine Handlung. Und jeder Film erzählt eine Geschichte. In einem perfekten Drehbuch unterstützen sich Handlung und Geschichte gegenseitig. Dahin muß man allerdings erst einmal kommen. Es ist harte Arbeit, bis es soweit  ist, und es gibt nie eine Garantie, daß man es erreicht. Das ist wie der Spieleabend mit Freunden: manchmal ist der Abend schön, manchmal grauenhaft.

Es gibt eine wichtige Frage, die man sich stellen kann und die man auch beantworten kann: ist bei meiner Idee, bei meinem Film, die Handlung wichtiger oder die Geschichte? Zum Beispiel STIRB LANGSAM, oder SPEED, oder DER WEISSE HAI. Sicherlich sind das keine großen Geschichten, aber es sind große Handlungen. Auf der anderen Seite Filme wie WAS VOM TAGE ÜBRIGBLEIBT, BILLY ELLIOT, DER EINZIGE ZEUGE. In diesen Filmen steht die Handlung nicht so im Vordergrund, wichtiger sind die Schicksale, Begegnungen und Entscheidungen der Figuren. Und gerade beim letztgenannten, DER EINZIGE ZEUGE, kommt man „dem perfekten Drehbuch“ schon verdammt nah. Denn auch die Handlung dieser Geschichte, die aus einem Krimi, einer Liebesgeschichte und einem Drama um dem Zusammenprall höchst unterschiedlicher Lebensweisen besteht, ist interessant und spannend. Erotisch. Vielschichtig. Anrührend. 

Wenn man eine neue Idee für ein tolles Drehbuch hat, kann man sich die Frage stellen, wieviel Geschichte und wieviel Handlung diese Idee verträgt oder braucht. Am Ende, auf der Leinwand, bekommt der Zuschauer die ursprüngliche Idee als Mischung von Geschichte und Handlung zu sehen. Erst, wenn diese Mischung stimmt, gefällt der Film.

Woher weiß man als Autor, wann die Mischung stimmt? Wieder lautet die Antwort: keine Ahnung. Die Erfahrung dazu kann man sich nicht anlesen oder von anderen übernehmen. Das muß man sich erarbeiten und seine Sinne schärfen. Eine Hilfe ist auf jeden Fall, sich viele Filme anzuschauen und auf ihr „Mischungsverhältnis“ hin zu untersuchen.

Oft wird man feststellen, daß entweder der plot oder die Geschichte irgendwie ein größeres Gewicht hat. Und man wird feststellen: entweder gibt es wirklich viel plot, oder wirklich viel Geschichte. Man muß unbedingt eine große Menge an guten Ideen in seinen Film einbauen. Und man muß sich vor dem Schreiben entscheiden, auf welchen Bereich man den Fokus legt. Man kann keine psychologische Charakterstudie durch ein furioses Actionende abschließen. Man kann keinen Katastrophenfilm durch eine lange Gesprächsszene beenden. (es gibt immer Gegenbeispiele)

In vielen Filmen helfen sich Geschichte und plot gegenseitig, wenn man als Autor an einer Stelle angekommen ist, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Das kann manchmal, wenn man es geschickt einsetzt, besonders gut wirken, kann aber auch schnell zu einem billigen Trick verkommen. Wenn man zu Beginn der Handlung einige tiefsinnige, versteckte Andeutungen über interessante Hintergründe gibt und sie später nicht einlöst, hat man etwas falsch gemacht. 

Oft ist es am stärksten, wenn der plot die Aussage der Geschichte beweist. Bei dem Film BLADE RUNNER besteht die eigentliche Geschichte aus der zentralen Frage: sind Androiden lebendig? (die literarische Vorlage von Philip K. Dick zu diesem Film trägt den Titel: Do Androids dream of electric sheep?) Am Ende rettet der Androide Roy Batty, nach einem finalen und brutalen Kampf auf Leben und Tod, in dem Moment, als Rick Gefahr läuft, von einem Hochaus in den sicheren Tod zu stürzen, diesem aus Mitgefühl das Leben. Mitgefühl, eine zutiefst menschliche Empfindung. Damit ist die Frage der Geschichte durch eine letzte Wendung des plot beantwortet.

Jeder Film besteht aus plot und Geschichte, jeder plot und jede Geschichte besteht aus Fragen und der Suche nach den Antworten. Wenn es gelingt, wie in BLADE RUNNER, beides miteinander zu verquicken und in der Schlußszene die Antwort auf die beiden Hauptfragen aus plot und Inhalt zu geben, dann hat man etwas richtig gemacht.
 

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Um die verschiedenen Filme miteinander besser vergleichen zu können, sollen die hier vorgeschlagenen Fragen berücksichtigt werden. Da dieses Projekt gerade entsteht, sind die Kriterien noch in der Roh-Fassung, falls SIE dazu Anmerkungen haben, zögern Sie bitte auch nicht, sich zu melden.