Eine Kurzgeschichte in 4 Postkarten von Rüdiger Leupold
Lord Montgomery Plimlington war ein außerordentlich exakter Mensch. Wenn er frühstückte, strich er das Honigmesser ordentlich am Brot ab, bis es beinah wieder sauber war. Wenn er für die Katze eine Dose Thunfisch zubereitete, achtete er penibel darauf, den zerkleinerten Inhalt in gleich große Stücke zu teilen. Wenn er in seinem 8,20 mal 10,45 Meter großen Pool schwimmen gehen wollte, sah er zuerst auf die Uhr, ob es auch noch 2 Stunden Zeit waren, bis der Butler das Essen servieren mußte. Und wenn James den Rasen mähte, maß er die geschnittene Länge mit einem Lineal nach. Wenn sie stimmte, war der Lord glücklich. Lord Plimlington war bis jetzt mit acht Frauen liiert. Er hatte kein Glück mit Frauen, und diese nicht mit ihm. Mit keiner war es lange gut gegangen. Margaret Heatherford, seine erste Frau, war eine Langschläferin. Morgens, wenn der junge Lord, damals Mitte 20, vor dem Frühstück einmal um den eigenen Park joggen wollte, erntete er zumeist ein verschlafenes "Oh Honeybear, heute nicht, vielleicht komme ich morgen mit, aber heute geht es auf gar keinen Fall", von seiner Margaret, die sich gleich wieder ins Bett kuschelte und ihn alleine laufen ließ. Die Ehe hielt nicht. Eine Überdosis Schlaftabletten beendete sie. Trixie Spencer, seine vierte Frau, war erst 20, als sie eine Plimlington wurde. Sie hatte, so stellte sich ein paar Monate nach der Hochzeit heraus, genau zwei Leidenschaften: ihren Goldfisch und Cuba Libre, eimerweise. Die Ehe war kurz. Trixie ertrank. Marie Luise Claire, eine Französin, und die direkte Nachfolgerin von Trixie Spencer, hatte Lord Plimlington in Cannes kennengelernt, als sie, gertenschlank und braungebrannt, zu seiner Jacht geschwommen kam, um nach Feuer zu fragen. Und, nachdem sie an Bord geklettert war, nach einer Zigarette. Außerdem
hatte sie nichts an gehabt.
Diese
Liaison hielt immerhin vier Jahre, doch Marie hatte auch ein Laster. Typisch
französisch, liebte sie das Essen. Als der Lord sich von ihr trennte,
wog sie 110. Kilogramm!
Ein
Soufflé aus Waldpilzen war ihr letztes Mahl.
Claudia
Schmitt, eine Deutsche, war die aktuelle Lady Plimlington. Der Lord, auf
seine alten Tage spitz wie ein Igel, hatte sie streng nach körperlichen
Merkmalen ausgesucht. Doch Claudia Schmitt griff lieber zu einem Buch,
wenn sie abends ins Bett ging, als nach seinem Lesezeichen.
Eine
wohlbekannte Unruhe befiel Montgomery Plimlington.
Heute
war der sechzigste Geburtstag des Lord. Er stand früh auf und ging
in sein spezielles Zimmer. Dort legte er die dem Anlaß entsprechende
Kleidung an und begab sich anschließend in den Park, um einige Vorbereitungen
zu treffen, mit denen er seinen Ehrentag begehen wollte. Außerdem
sollte es auch eine Überraschung für seine Frau werden, und darauf
freute er sich am meisten.
Zurück
im Schlafzimmer gab er ihr zunächst ein Glas Sekt, zusammen mit einer
Tablette. Dann trug er die noch Schlafende unter großen Anstrengungen
in den Park und legte sie auf einen Bücherstapel. "Haben Sie noch
einen Wunsch, Sir?", fragte er mit seiner Butlerstimme. "Nein, James, es
ist alles in bester Ordnung", antwortete er mit seiner eigenen. "Dann können
wir beginnen, Sir", sagte er als James. Und dann griff der Lord in die
Tasche seiner Butleruniform und zog ein Feuerzeug heraus. "Wollen Sie,
Sir?", fragte er nasal. Und antwortete als Lord: "Ach, James, wenn Sie
es machen, ist es beinah so, als wenn ich es selber mache. Bitte, fahren
Sie fort. Mir reicht es, wenn ich nur zusehen kann."
Und
als die Flammen loderten, sah er kurz auf das neben ihm aufgestellte Goldfischglas,
in dem, in medizinischem Alkohol konserviert, der Kopf von Trixie Spencer
mit immer noch vor Überraschung geweiteten Augen ruhte.
|